“Junge Israelis finden Berlin cool”

Interview: Der SPD-Abgeordnete Achim Post sieht im Nahen Osten eine neue Chance für Friedensverhandlungen

Der israelische Wahlkampf entwickelt sich spannender als angenommen. Nach den neuen Umfragen liegt der amtierende Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nur auf Platz zwei. Das Mitte-links-Bündnis liegt vorn, berichtet der SPD-Außenpolitiker Achim Post in einem Gespräch mit Alexandra Jacobson.

Herr Post, Sie haben in der vergangenen Woche Israel und die palästinensischen Autonomiegebiete besucht. Welchen Zweck verfolgte Ihre Reise?
ACHIM POST: Das Ziel meiner Delegation war es, auszuloten, ob nach den israelischen Wahlen am 17. März eine Wiederbelebung des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses gelingen kann. Ich bin in der Funktion des Berichterstatters für Israel und Palästina in der SPD-Bundestagsfraktion im Nahen Osten gewesen.

Welchen Eindruck haben Sie?

POST: In den letzten Monaten und Jahren ist ja fast alles zum Erliegen gekommen, und auf beiden Seiten hat es kaum noch Hoffnung gegeben. Doch jetzt gibt es in Israel zum ersten Mal seit langem wieder eine Diskussion darüber, ob man in den Verhandlungsprozess einsteigen soll.

Sie glauben nicht, dass Netanjahu wiedergewählt wird?

POST: Wenn Sie mich vor zwölf Monaten gefragt hätten, hätte ich diese Frage auf jeden Fall verneint. Aber mittlerweile liegt das Mitte-links-Bündnis von Jitzhak Herzogs Arbeiterpartei und der ehemaligen Justizministerin Tzipi Livni knapp vor der Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Was für einen Eindruck haben Sie von Jitzhak Herzog, dem Chef der Arbeiterpartei?

POST: Der 54-jährige Herzog wirkt jugendlich, ist aber ein alter, erfahrener Fahrensmann. Er ist unheimlich solide, aber auch gewieft, was auch nötig ist, um eventuell eine Koalition zusammenzuschmieden. Mit ihm hat Netanjahu einen ernsthaften Gegner.

Mittlerweile legen sich die US-amerikanischen Republikaner für Netanjahu ins Zeug und haben ihn für eine Rede am 3. März in den Kongress in Washington eingeladen – ohne Präsident Obama auch nur zu fragen.

POST: Das hat bei allen Gesprächspartnern in Israel für große Verwunderung gesorgt. Ob es Netanjahu in Israel wirklich hilft, ist fraglich. Diese Einmischung von außen hat man nicht gerne. Die Wähler sind hochgradig interessiert und sehr politisiert. Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten für den Durchschnittsisraeli spielt auch die soziale Frage eine größere Rolle als sonst. So sind die Wohnungskosten in Israel enorm hoch, dagegen sind selbst Düsseldorf oder Berlin ein Paradies.

Welche Rolle können Europa oder Deutschland in diesem Friedensprozess spielen?

POST: Deutschland genießt ein hohes Ansehen, sowohl bei den Israelis als auch bei den Palästinensern. Wir sind immer sehr ehrlich zu beiden Seiten. Zu den Israelis sagen wir: Der Siedlungsbau muss endlich gestoppt werden, und den Palästinensern sagen wir: Israel braucht Sicherheitsgarantien. Deshalb ist die Bundesregierung vom praktischen Nutzen einseitiger Schritte wie der Anerkennung Palästinas durch die schwedische Regierung nicht überzeugt. Deutschland setzt auf Fortschritte durch Verhandlungen und drängt gleichzeitig Israel und Ägypten, die verzweifelte Lage der Menschen im Gazastreifen zu verbessern.

In Israel ist Deutschland offenbar sehr beliebt, wie neuere Umfragen zeigen. Ist das ein Zeichen für eine neue Normalität nach dem Holocaust?

POST: Es ist 70 Jahre nach Auschwitz in der Tat fast wie ein Wunder. Gerade junge Israelis finden Berlin cool. Anfangs spielte dabei sicher auch ein Protestverhalten gegenüber ihren Eltern und Großeltern eine Rolle. Mit einer Reise nach Deutschland wollten die Jüngeren die Älteren mal so richtig ärgern. Mittlerweile überwiegen aber eindeutig Vorzüge wie kulturelle Vielfalt und Weltoffenheit. Auch viele ältere Israelis erkennen an, welche Leistung Deutschland nach dem 2. Weltkrieg mit dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft erbracht hat. Gleichwohl bleibt das Verhältnis beider Länder immer ein besonderes. Ich hatte ein tolles Gespräch mit einer Kollegin aus Jerusalem. Wir waren politisch auf einer Wellenlänge. Ich habe sie wie andere nach Deutschland eingeladen, aber sie hat mit den Worten abgelehnt: Ich kann nicht nach Deutschland fahren. Ich bin ohne Großeltern aufgewachsen. Was soll man da noch sagen? Da kommen einem die Tränen.

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14 – Lübbecke (Altkreis), Montag 26. Januar 2015