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»Wir haben gut verhandelt«

Ja oder Nein zum Koalitionsvertrag: Viele SPD-Mitglieder sind unentschlossen, wie sie das Ergebnis bewerten sollen. Bis zum 12. Dezember haben die Genossen Zeit, sich zu entscheiden. 

Für die noch Unentschlossenen haben die Senioren der Espelkamper SPD am Samstag einen Infonachmittag im Nachbarschaftszentrum Erlengrund organisiert. Zu Gast war MdB Achim Post, der den ausgehandelten Vertrag aus seiner Sicht kommentierte.

»Eine große Koalition ist nicht per se undemokratisch«, wandte sich Post gleich zu Beginn gegen eine oft geäußerte Kritik. In Österreich zum Beispiel sei sie sogar der Regelfall. Aber sie berge auch Gefahren, derer man sich bewusst sein müsse – auch für die SPD selbst. »Wir werden darauf achten müssen, dass wir mit eigenem Profil erkennbar bleiben. Man muss auch in einer großen Koalition nicht immer einer Meinung sein und darf nicht immer von vornherein nach dem kleinsten Nenner suchen.«

Mit dem ausgehandelten Vertrag zeigte sich Post sehr zufrieden: »Wir haben gut verhandelt. Wir haben aus 25 Prozent Wahlergebnis einen 50 Prozent Koalitionsvertrag gemacht.« Bei wichtigen Themen wie Mindestlohn, doppelter Staatsbürgerschaft, mehr Geld für die Kommunen oder der abschlagsfreien Rente mit 63 habe sich die SPD weitgehend durchsetzen können. Das Ergebnis in Sachen Mindestlohn nannte Post sogar eine »historische Errungenschaft« der SPD: »Der Teil ist richtig gut und eins zu eins mit den Gewerkschaften abgestimmt.«

Allerdings verhehlte Post nicht, dass die SPD-Mitglieder auch einige Kröten schlucken müssten. Das Betreuungsgeld werde bleiben und Steuererhöhungen für Besserverdienende werde es nicht geben. Dass künftige Erhöhungen der Krankenversicherungsbeiträge einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer gehen würden, fand Post besonders enttäuschend: »Dieser Teil ist miserabel verhandelt. Ich weiß gar nicht, wie Lauterbach (Karl Lauterbach, SPD-Politiker und Verhandlungsführer beim Thema Gesundheit, Anm. d. Red.) sich darauf einlassen konnte.«

Und was das im Grundgesetz festgeschriebene Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich angehe, da sei eine Chance verschenkt worden: »Für eine Aufhebung braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Das wäre jetzt bei einer großen Koalition gut machbar gewesen.« Insgesamt gebe es also »ein paar deutliche Pluspunkte, aber auch ein paar deutliche Minuspunkte«.

Post plädierte aber für die Zustimmung zum Koalitionsvertrag – nicht zuletzt, weil die Alternativen schwarz-grüne Koalition oder Neuwahlen wenig attraktiv seien. »Aber jede Stimmabgabe, egal ob mit Ja oder Nein, ist absolut legitim. Das ist objektiv eine schwierige Frage«, sagte Post. Das Abstimmungsverfahren als solches nannte er »richtig gut« und erntete damit einhellige Zustimmung.

Die Mitglieder nutzten im Anschluss die Gelegenheit, Details des Koalitionsvertrages kritisch zu hinterfragen. Es wurden auch Bedenken gegen die Große Koalition geäußert. Dies sei verständlich, sagte André Stargardt, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender in Espelkamp. Das allgemeine Bild der Sozialdemokraten zur Großen Koalition schätzte er in Espelkamp aber auf 70 zu 30 für eine Zusammenarbeit in der Regierung. Damit läge Espelkamp im Bundestrend, so Stargardt weiter. Aber auch im Erlengrund sprachen sich einige Mitglieder dafür aus, lieber vernünftige Oppositionsarbeit zu leisten, um in 2017 gestärkt in die Bundestagswahl gehen zu können. Mit dem Mitgliedervotum an sich, so Stargardt, nehme die SPD in Deutschland eine »Vorreiterrolle« ein.

Quelle: WB vom 09.12.2013; Espelkamp (cm/fq)

SPD besteht auf Mindestlohn

Große Koalition in Berlin: Stadtverband Lübbecke noch unentschieden

Begrüßten das neue Mitglied im Sportlerheim: (v. l.) Horst Obermann, Vorsitzender des Ortsvereins Blasheim-Obermehnen, René Husemeier aus Blasheim, dem der Bundestagsabgeordnete Achim Post das Parteibuch überreicht, und Landrat Dr. Ralf Niermann. FOTO: TYLER LARKIN/Text: Frank Hartmann

Begrüßten das neue Mitglied im Sportlerheim: (v. l.) Horst Obermann, Vorsitzender des Ortsvereins Blasheim-Obermehnen, René Husemeier aus Blasheim, dem der Bundestagsabgeordnete Achim Post das Parteibuch überreicht, und Landrat Dr. Ralf Niermann. FOTO: TYLER LARKIN/Text: Frank Hartmann

Lübbecke-Nettelstedt. Dass die Parteibasis keineswegs schon bereit ist, sich mit einer großen Koalition in Berlin anzufreunden, wurde am Dienstag bei einer Stadtverbandsversammlung der SPD in Nettelstedt deutlich. Manfred Muth etwa signalisierte: “Ein Mindestlohn von 8,50 Euro ist nicht verhandelbar.”

Über den Stand der Verhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU in Berlin informierte der Bundestagsabgeordnete Achim Post etwa 35 Parteimitglieder. Bisher liege liege noch nichts Entscheidungsreifes vor. Er rechne allerdings mit dem Entwurf für einen Koalitionsvertrag innerhalb der nächsten acht Tage.

Dass die Mitglieder des Stadtverbandes Lübbecke sich noch nicht sicher sind, was sie von einer großen Koalition halten sollen, verdeutlichten mehrere Anmerkungen aus ihren Reihen. Manfred Muth, Mitglied des Lübbecker Stadtrates und Ortsvorsteher in Blasheim, schlug vor: “Ich bin mir unsicher, machen wir doch eine Probeabstimmung.”

Dazu sahen sich die meisten Anwesenden jedoch außerstande, weil noch zu wenige Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen von SPD und CDU/CSU bekannt seien. Eines steht für Muth aber schon fest: “Der Mindestlohn von 8,50 Euro ist nicht verhandelbar, sonst stimme ich nicht zu.”

Ähnlich äußerte sich Landrat Dr. Ralf Niermann, der als Gastredner dabei war: “Es geht nicht, dass die Summe offen bleibt.” Und auch Post selbst machte deutlich: “Ich bin für 8,50 Euro, und zwar so schnell wie möglich.” Das sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Dieses Thema beschäftigte auch Michael Wolski. Bei Stundenlöhnen von 4,50 Euro “geht es vielen Leuten nicht gut”.

Eine andere Variante wählte Günter Niedringhaus (“Ich bin bekennender Europäer.”). Als Erfahrung aus seinem großen Bekanntenkreis gab er wieder: “Die Leute wollen wirtschaftliche Kontinuität. Sie wollen Geld verdienen, vernünftig leben und ihren Lebensstandard halten.” Ökonomischer Sachverstand sei wichtig, stimmte Post zu und sprach sich für eine offene Abstimmung zur Frage der großen Koalition aus.

Mit Blick auf den 20-jährigen gelernten Bankkaufmann René Husemeier aus Blasheim, dem soziale Gerechtigkeit wichtig ist und der gerade in die SPD eingetreten ist, sagte Post: “Deine Stimme ist genau so viel wert wie die von Gabriel.” Wie der junge Sozialdemokrat und die anderen Mitglieder sich entscheiden werden, soll sich am 6. Dezember bei einer offenen Versammlung im Preußenmuseum in Minden zeigen. “Dann entscheiden wir alle, ob es eine große Koalition gibt”, machte Post noch einmal deutlich, wie wichtig der Parteiführung die Meinung der Basis ist.

Als Folgen einer großen Koalition nannte der Bundestagsabgeordnete: “Gysi wäre als Oppositionsführer richtig gut.” Die im Bundestag verbleibenden 20 Prozent der Parteien wäre allerdings “keine starke Opposition. Die SPD wolle aber eine “lebendige Demokratie”.

Und wenn die große Koalition mit der Union scheitere? Für den Fall befänden sich “die Grünen in Wartestellung”.

 

© 2013 Neue Westfälische 14 – Lübbecke (Altkreis), Donnerstag 21. November 2013

SPD hadert mit Wahlergebnis

Große Koalition bei den Genossen in Lübbecke unbeliebt – Achim Post zu Gast

Lübbecke (WB). Soll das Land von einer Großen Koalition regiert werden? Diese Frage wird bald von etwa 500   000 SPD-Mitgliedern mitentschieden. Eine solche Mitgliederentscheidung hat es bisher noch nie gegeben. Bei einer Stadtverbandsversammlung in Lübbecke hat der Bundestagsabgeordnete Achim Post die tiefe Skepsis bei der Parteibasis zu spüren bekommen.

Von Christian Busse

Bis tief in Nächte ringen derzeit in Berlin die Spitzen von CDU und SPD um die Bildung einer Großen Koalition. Der heimische Bundestagsabgeordnete Achim Post ist wegen seiner Verpflichtung als Generalsekretär der Europäischen Sozialdemokratie nicht in die Verhandlungen eingebunden. Aber als beratendes Mitglied des Parteivorstandes kennt er alle Unterlagen. »Derzeit kann ich den Mitgliedern noch keine Empfehlung zur Zustimmung gebe. Es sind noch viele Fragen offen«, sagte Post vor der Parteibasis. Diese Sprachregelung hört man derzeit von vielen Spitzengenossen. Es wirkt wie ein Zugeständnis an die verunsicherte Basis, die diese Große Koalition im Grunde nicht will. Besonders ablehnend äußerte sich Ratsmitglied Manfred Muth: »Egal was wir machen. Wir können nur verlieren.« Ginge die SPD in die Große Koalition, müsste man Zugeständnisse machen. »Dann verlieren wir Mitglieder«. Gehe man nicht in die Große Koalition, würde man vor der Verantwortung fliehen. »Auch dann verlieren wir Mitglieder«, sagte Muth. »Wenn der kleine Mann wieder das Gefühl bekommt, wir lassen ihn im Stich, dann bleibt die SPD auf der Strecke. Dann sind wir erledigt«, sagte Muth.

Achim Post antwortete, dass genau das nicht passieren dürfte. »Die Partei wird nicht zerbrechen. Es ist eine schwierige Entscheidung, aber bei weitem nicht die wichtigste in der Geschichte der Sozialdemokratie«, sagte er.

Die Große Koalition beschrieb Post als notwendiges Übel. Niemand in der Partei habe diese Konstellation gewollt. Er erinnerte an das Beispiel Österreich, wo langjährige Große Koalitionen zur Stärkung der Ränder geführt hätten. »Das ist auch gesellschaftspolitisch nicht erstrebenswert. Demokratie ist dafür gemacht, dass es eine Regierung gibt und eine starke Opposition«, sagte er. Das Wahlergebnis ließe allerdings wenig Spielraum zu. »Gysi wäre bei einer Großen Koalition Oppositionsführer. Und wenn der eins gut kann, dann ist das Reden«, machte Post die Nachteile deutlich.

Achim Post nannte Bedingungen für seine private Zustimmung zu dem neuen Bündnis: »Der Mindestlohn von 8,50 Euro ist gesetzt und zwar so schnell wie möglich und für alle«, sagte er. Die Einigung auf einen Mindestlohn irgendwann in einer Höhe, die noch zu verhandeln ist, werde er nicht mitmachen. Dem pflichtete Ratherr Michael Wolski bei: »Wenn ich zu unseren Wählern nicht mit einem flächendenkenden Mindestlohn zurückkomme, dann brauche ich mich da nicht mehr blicken lassen.« Die Mitgliederbefragung der SPD sieht Achim Post als große Chance an. »Bei uns kann man mitbestimmen«, sagt er. Zudem wirkt es bei den Verhandlungen mit der CDU und der CSU als Druckmittel. »Es gab bisher keine Koalition, die so gründlich mit der Basis diskutiert wurde und bei der die Mitglieder am Ende die Entscheidung treffen«, so Post. Derzeit profitiert die SPD von diesem Mitspracherecht: Seit der Bundestagswahl sind allein in NRW 2000 neue Mitglieder aufgenommen worden.

Als die Frage aufkam, was passieren würde, wenn man mehrheitlich die Koalition ablehnen würden, wurde Post zuerst schweigsam. Dann aber skizzierte er doch eine mögliche Folge: »Die CDU wird bei den Grünen noch mal anfragen und die werden alle unsere ausgehandelten Punkte wie Mindestlohn und die Eindämmung der Leih- und Zeitarbeit als ihre Erfolge verkaufen.« Sollte es gar keine Lösung geben, würden Neuwahlen erfolgen. »Das will derzeit aber wirklich keiner der neu gewählten Bundestagsmitglieder.«

Quelle: WB vom 21.11.2013