Wir brauchen eine deutschlandweite umfassende Debatte über Gerechtigkeit

Im Altkreis Lübbecke und auch in anderen Kommunen finden sich viele Menschen in den Tafeln ein, um dort Lebensmittel zu holen oder eine warme Mahlzeit einzunehmen.

Die NW hat sich kritisch mit den Entwicklungen auseinandergesetzt und hat Landes- und Bundespolitiker um eine Stellungnahme gebeten (NW vom 05.03.2015).

Meine Stellungnahme als aktuellen “Standpunkt”:

Dass es in einem der reichsten Länder der Welt besorgniserregende Armutsentwicklungen gibt, ist ein politischer Skandal. Wenige hätten noch vor einigen Jahren gedacht, dass bei uns und im ganzen Land so viele Menschen gezwungen sind, zu den Ausgabestellen der Tafeln zu gehen. Auch wenn es das Ziel bleiben muss, die Tafeln überflüssig zu machen: So lange wir sie brauchen, gilt mein Dank den vielen Ehrenamtlichen, die seit langem bewundernswertes Engagement zeigen.

So wenig wir uns mit der wachsenden Armut abfinden sollten, so wenig dürfen wir uns mit der wachsenden sozialen Ungleichheit abfinden. Denn beide Entwicklungen sind Zwillinge. Fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, nach einem ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands und einem systematischen Ausbau des Sozialstaates, stehen wir vor großen und drängenden Herausforderungen: Wie verhindern wir ein Auseinanderfallen der Gesellschaft? Wie verringern wir die wachsende Kluft zwischen ganz Armen und ganz Reichen? Was tun wir wirklich für die Chancengleichheit unserer Kinder?

Aus der Sicht eines Bundespolitikers und Familienvaters will ich versuchen, einige Antworten zu geben. Dabei wissen wir alle: Erfolge wird es nur geben, wenn wir uns nachhaltig und stetig für soziale Gerechtigkeit einsetzen, nicht nur wenn ein Thema gerade Konjunktur hat. Deshalb bin ich seit langem für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Ich weiß, dass man auch mit dem Mindestlohn nur schwer über die Runden kommt, aber es ist ein wichtiger Durchbruch und ein wichtiger Anfang.

Ich bin seit langem für einen gerechten Anteil der Arbeitnehmer am Produktivvermögen. Nur wenn es insgesamt ordentliche und faire Löhne und Gehälter gibt, kann man sein Leben gestalten, etwas für seine Kinder und für eine eigene gute Rente tun. Wir brauchen also endlich wieder mehr Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Den völlig aus dem Ruder gelaufenen Niedriglohnsektor müssen wir systematisch zurückdrängen – eine Aufgabe für die Große Koalition.

Die Chancen unserer Kinder dürfen nicht vom Geldbeutel ihrer Eltern abhängen. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern eine Frage der ökonomischen Vernunft. Der Politik der nordrhein-westfälischen Landesregierung, kein Kind zurückzulassen, gebührt deshalb unsere volle Unterstützung. Wir brauchen kein unsinniges Betreuungsgeld, sondern die kostenlose Betreuung und Förderung unserer Kinder in Kindertagesstätten und Kindergärten genauso wie in der beruflichen und universitären Ausbildung.

Um diese Ziele weiter zu verfolgen und schließlich zu erreichen, brauchen wir im Lübbecker Land und im Mühlenkreis, in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland eine umfassende Debatte über Gerechtigkeit – auch über Verteilungs-, Bildungs- und Steuergerechtigkeit. Ich bin weiter dafür, dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Ich bin weiter dafür, alles zu tun, dass jede und jeder in Deutschland bessere Chancen auf einen Schulabschluss hat – auch mit einer zweiten oder dritten Chance, wenn es beim ersten Mal nicht klappt. Und ich bin dafür, Maßnahmen gegen Steuerflüchtlinge weiter zu verstärken. Wenn jemand bei uns reich geworden ist, sollte er auch bei uns seine Steuern bezahlen. Nur dann, nur mit mehr sozialer Gerechtigkeit werden wir auch wirtschaftlich weiter erfolgreich sein.